Sonntag, 17. April 2005

Kapitale ohn´Unterlass

Im Zentrum des Kapitalismus steht dessen Namensgeber das Kapital. Diese Namensgebung scheint einigermaßen stringent, da die selbstzweckhafte Bewegung des Wertes die Synthesis der Menschen erst erschafft, und somit Gesellschaft immer erst ex post als Wertvergesellschaftete konstituiert wird. Das Kapital als Vermittlungsform und gesellschaftliches Verhältnis ist also für die jetzige historisch determinierte Gesellschaft, die zentrale Kategorie. Kritische Theorie hat sich somit nolens volens immer in irgendeiner Form auf diesen Strukturzusammenhang zu beziehen. Heutzutage geschieht dies zumeist in legitimatorischer wenn nicht sogar apologetischer Form. Allerorten, besonders in den Sozialwissenschaften, ist die Rede von symbolischem und sozialem Kapital, sollte es hart auf hart kommen, auch schon mal vom Humankapital.

Diese Wortkreationen sind durchaus ambivalent. Sie verkennen durchwegs die kritische Intention des Wortes „Kapital“ in der Kritik der politischen Ökonomie, und verwenden es stattdessen als postmoderne Allerweltskategorie. So richtig es ist alles auf die den Gesellschaftlichkeit strukturierenden Formzusammenhang Wert rückzubinden, so falsch ist es, Kapital als tautologisches prozessierendes sozietäres Verhältnis auf alle menschlichen Äußerungen auszuweiten. In diesen Wortschöpfungen spiegelt sich ein realer Prozess in verzerrter Form wider. Die Warenform und der Verwertungsimperativ treten immer näher an den Menschen und seine physischen und psychischen Entäußerungen heran. Die Warenmonade wird ergänzt durch den Konsumcontainer und den Staatsbürgerinnenbrutkasten. Daraus ergeben sich dann solche logischen Stilblüten orwellscher Sprache, wie das Humankapital. Selbiger Ausdruck erfreut sich besonders im universitären Umfeld größter Beliebtheit. Die Universitäten erhalten den Rohstoff Mensch, und verwandeln ihn in verwertbares Humankapital. Der Ausdruck Kapital trifft hier gleichzeitig zu und nicht zu. Einerseits ist Kapital eben nur jenes, im oben beschriebenen Sinne, gesellschaftliche Verhältnis, andererseits beschreibt der Begriff Humankapital einen Prozess der immer weiteren und schnelleren Urbarmachung des Menschen. Die adrette Betriebswirtin, die weiß, dass Markt und Kapital immerwährende Konstanten menschlicher Wechselwirkung bilden, und der positivistische Politologe, der WählerInnenstromanalysen verfasst, sind dabei die zwei Seiten derselben Medaille. Die Tautologisierung schreitet vollends voran die Menschen sind immer mehr „verwertungsunmittelbar“. Kein Refugium und kein Residuum bleiben zurück. Überall kommt diese Unmittelbarkeit zum Vorschein. Z.B. als Fitnesswahn der Arbeitskraftbehälter, oder als Modeneurose der Konsumcontainer.

Diese totale Inwertsetzung aller menschlichen Regungen tritt in der finalen Krise des Kapitals immer desaströser hervor. Der einzelne Mensch ist dabei in seiner Vereinzelung total (wert)vergesellschaftet. Moishe Postone hat diese Entwicklung in zwei Sätze gebannt, die auch als Modernisierung und Konkretisierung des berühmten Springquell-Diktums Marxens aus dem Kapital gelesen werden sollte. Denn:
„der Kapitalform hängt der Traum einer äußersten Grenzenlosigkeit an, eine Phantasie von Freiheit als der völligen Befreiung von aller Stofflichkeit, von der Natur. Dieser 'Traum des Kapitals' wird zum Alptraum für all das und all diejenigen, wovon das Kapital sich zu befreien versucht - den Planeten und seine Bewohner. Die Menschheit kann aus diesem schlafwandlerischen Zustand nur erwachen, wenn sie den Wert abschafft."( M. Postone: "Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft", S. 576)



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