Wie die Größe eines Mannes so auch sein…?

Tagespolitische Ereignisse zeichnen sich immer wieder durch eine gewisse Art der (sprachlichen) Redundanz aus. Wer das politische Spektakel eine Zeit lang verfolgt hat, wird sich, nebst der sowieso geschraubt orwellschen Sprache, einige bestimmte Phrasen immer wieder zu Ohr kommen lassen müssen. Einer der Signifikantesten Aussprüche in diesem politischen Jargon (der Eigentlichkeit) ist die Rede vom kleinen Mann. Beginnend beim Parteisozi und Gewerkschaftshuber über die FPÖ/BZÖ Recken bis zum Reichsbahnonkel, meinen es alle besonders gut mit der Spezies des „kleinen Mannes“. JedeR ist um dessen Wohl besorgt. Doch allein schon phänomenologisch gibt es Probleme bei der Bestimmung dieses „kleinen Mannes“. Um die Körpergröße kann es wohl kaum gehen, keine politische Partei wird sich explizit um kleinwüchsige Menschen kümmern, gerade weil diese prozentual einen äußerst geringen Teil des demokratischen Stimmviehes darstellen. Vielmehr kann es bei diesem kleinen Mann also nicht vordergründig nicht um die Körpergröße gehen, wiewohl er auch physisch klein sein kann; es geht vielmehr um eine ganz bestimmte Art des kapitalistischen Soziotypus´. Nämlich um den prototypischen WählER(Großschreibung als Emphase der exkludierenden Männlichkeit) im Hoheitsgebiet des Stammtisches. Der kleine Mann und der Stammtisch bilden also so etwas wie eine komplementäre Einheit.

Dabei wundert es dann auch nicht, dass sich bisher immer Jörg Haider emphatisch auf den kleinen Mann und dessen Rechte, berufen hat. Der selbst yuppifizierte faschistische Agitator setzt auf das yuppifizierte, soll heißen fordisierte, kapitalistische Subjekt. Dieses hat es zwar gerade qua Lohnarbeit zu gewissem bescheidenem Reichtum gebracht, dennoch, oder gerade deshalb, bleibt es bei seinen Bornierungen. Bekanntermaßen, bedeutet Leben in kapitalistisch konstituierten Gesellschaften in Mitten von Überfluss an Waren zu entbehren, obwohl aufgrund der entwickelten Produktivkräfte objektiv die Möglichkeit gegeben wäre, allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Adorno, auf den eine genauere sozialpsychologische Untersuchung des „kleinen Mannes zu rekurrieren hätte(besonders auf seine Studien zum autoritären Charakter) beschreibt die Auswirkungen die ein solcher irrationaler Verzicht auf die Psyche des Individuums, vulgo auf unseren kleinen Mann und seine Sinnesergüsse, hat, folgendermaßen: „Damit das Individuum, die ihm aufgezwungenen, vielfach unsinnigen Verzichte zu Wege bringt, muss das Ich unbewusste Verbote aufrichten und selber weiterhin sich im Unbewussten halten“(Adorno, Verhältnis Soziologie Psychologie, Seite 71). Das Ich des gesellschaftlich Kleingewachsenen muss dieses irrationale Ungleichgewicht also austarieren. Verzicht und Verdrängung müssen praktiziert werden obwohl dies für den/Die EinzelneN(besonders für Männer, aufgrund der Sozialisation als „komplett wertvergesellschaftet“, was umgekehrt keineswegs heißt Männer würden sich eher der Emanzipation bemüßigen) nicht einsehbar ist, es vielmehr auch keinen rationalen Grund dafür gibt. Es kommt zu einem durch die gesellschaftlichen Verhältnisse induzierten zusätzlichen Triebverzicht. Dieser ist direkt aus den gesellschaftlichen Verhältnissen abzuleiten, wörtlich eben den Zumutungen des kapitalistischen Joches. Das daraus resultierende Ohnmachtsgefühl steht darauf folgend im Widerspruch zum Bedürfnis nach narzisstischer Aufwertung der eigenen kleinen Person. Diese Zerrissenheit führt zur Frage, wer daran schuld sei. Die Antwort steht beim kleinen Herrn Hinz und Kunz, bei Herr oder Frau ÖsterreicherIn längst fest: Ich nicht! Da das Individuum nämlich die Zusammenhänge zwischen den auf ihn wirkenden Zwängen nicht erfassen kann, sucht es – allgemein formuliert– Schuldige. Der kleine Mann ist also dadurch charakterisiert, dass er seine Regungen bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit auf andere projiziert. . Worüber man sich selbst nicht bewusst werden möchte und kann, wird an anderen gesehen. Sei es nun die Angst der sozialen Depravation, verheimlichte homoerotische Neigungen Sehnsucht nach einem besseren Leben, nach unverstümmelter Sexualität oder Anderes Verdrängtes. . Was zur Zurichtung als bürgerliches Subjekt, also zur Subsumption unter kapitalistische Joch, notwendig ist, aber nicht eingestanden werden darf, wird den Anderen zugeschrieben um es dann hemmungslos an Selbigen zu verfolgen zu können. Damit wird auch die eigene stets prekäre und tendenziell überflüssige Existenz bestärkt. Der kleine Mann konstituiert sich selbst also nur im Hass auf Andere. In diesem Zusammenhang ist die Bezeichnung klein wohl wirklich eine sehr treffliche.

Gerade auch aus dem oben genannten Umstand ist die Rekurrenz des faschistischen Agitators auf den kleinen Mann, und dessen Regungen, also seine rassistischen und antisemitischen Ausfälle, verständlich. Dabei bedingen sich beide gegenseitig, ein Jörg Haider bezieht sich dabei immer wieder im emphatischen Duktus, auf den kleinen Mann. Aussagen a lá „Die Interessen des kleinen Mannes müssen gewahrt werden“ sind dabei auf der Tagesordnung. Der faschistische Führertut nichts anderes als, die abstrakten Ängste der Massen zu kanalisieren, spricht dabei aus, was diese denken, sich aber nicht sagen getrauen und fungiert somit als deren Maul. Es kommt zu einer kollektiv-narzisstischen Aufwertung des/der Einzelnen in der Gemeinschaft. Der Führer symbolisiert dabei diese Gemeinschaft. Auch die schlecht integrierte, bedrückende eigene Gewissensinstanz wird an den Führer abgegeben, er entscheidet nun, was erlaubt und was verboten ist – eine enorme psychische Erleichterung für klein Grethi und Plethi.

Der kleine Mann(und auf dem MANN ist zu insistieren) ist also nichts anderes als die prototypische Form des wertvergesellschafteten Subjektes(zu diesem fundamentalen Unterschied, und warum Frauen meiner Ansicht nach nicht primär wertvergesellschaftet sind, sollte demnächst noch ein Blogeintrag folgen. Also stay tuned:-)). Resultierend aus einer unpersönlichen Welt, dem „Geist geistloser Zeiten“(Karl Marx), reagiert er seine systematisch negierten Triebe gegen das imaginierte Oben, also in antisemitischer Rabulistik, und gegen das imaginierte Unten, in rassistischen Plattitüden, ab. Getrieben von den Versagungen des Kapitalismus, reagiert der vereinzelte Kleineinzelne, der nichts anderes darstellt als den potenziellen Faschisten, der seine absolute Wut zur Destruktion dann im Pogrom auslebt, als regressives Ungetüm. Dabei sehnt es sich insgeheim nur nach „des Glückes ohne Macht, des Lohnes ohne Arbeit, der Heimat ohne Grenzstein“ wie Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung schreiben. Diesem zweiten verklausulierten Wunsch sollte doch nachzukommen sein.

P.S. Bei diesem Kurztext handelt sich teilweise um eine Zusammenwürfelung von Teilen anderer Texte meinerseits. Textuelles Recycling wegen nicht endenwollender Grippe sozusagen.
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