Dienstag, 17. Mai 2005

„Bücher to do stapel“(II)

Auf ein zweites Mal eine kleine Vorausschau auf meine zukünftige Literatur. Wie immer handelt es sich dabei größtenteils um außeruniverisitären Kram, der wohl am besten unter das Label posttradititionsmarxistisch einzuordnen wäre. Kurz gesagt, von kritischer Theorie Frankfurter Provenienz, über situationistische Revolutionshysterie zu orthodoxer Wertkritik(dieser 3 schrittige Parforceritt könnte für die radikale Linke ruhig paradigmatisch werden, soll heißen: eine in actu situationistische mit kritischer Theorie angereicherte Wertkritik[zugegeben als Fahnespruch auf Demos weniger geeignet: „Für eine situationistische mit kritischer Theorie angereicherte Wertkritik“ klingt einfach nicht so schick wie „Für den Kommunismus])


Horkheimer, Max: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt am Main 1985

Dieses als „Dialektik der Aufklärung light“, da nicht ganz so apodiktisch, bekannte Werk, kann wohl neben dem Obengenannten als das wichtigste Werk der kritischen Theorie angesehen werden. Max Horkheimer geht in diesem Kompendium der Frage nach, warum die Menschheit eben nicht in den erhofften menschlichen Zustand eingetreten ist, und stattdessen in der absoluten Barbarei zu versinken drohte. Da Abfassen dieses Werkes Ende der 30er Jahre stattgefunden hat, lässt sich hinzufügen: versunken ist. Im Englischen Original als „Eclipse of Reason“ veröffentlicht ist der deutsche Titel wohl eher schlecht gewählt. Ein besserer Titel wäre wohl die „Tautologisierung der Vernunft“ oder Ahnliches gewesen. Horkheimer selbst versucht darin zu beschreiben, wie sich der zuerst emphatische Vernunftbegriff der frühen Aufklärung, in Zeiten des technokratischen Positivismus in sein Gegenteil verkehrte. In seinen eigenen Worten: „Mehr und mehr verliert das moderne Denken die Fähigkeit, neben der Effektivität der Mittel auch die Vernünftigkeit der Zwecke zu beurteilen“(Vorwort). In anderen Worten, die tautologische Bewegung des Kapitals in der das Mittel zum Zweck, immer wieder aufs Neue zum Mittel degradiert wird, sedimentiert sich auch in den Köpfen der Menschen. Inwieweit die durchwegs irrationale kapitalistische Binnenrationalität sich in den je Einzelnen durchgesetzt hat, lässt sich an jedem x-beliebigen Sozialprotest zeigen. Diese Vernunftkonzeption ist dabei das genaue Gegenteil der Verwirklichung des je einzelnen Menschen.
Horkheimers aufgrund seiner Transhistorizität problematischer Aufklärungsbegriff und seine damit Hand in Hand gehende Idealisierung der frühen Aufklärer(Innen) des dräuenden Kapitalismus, sei hier nur nebenbei erwähnt.
Weiters finden sich in diesem Werk, deshalb zu Anfangs auch die Klassifizierung als Kompendium, als zweiter Teil, mehrere philosophische sowie soziologische Vorträge Horkheimers. Darunter sind solch bekannte wie „Autorität und Famlie in der Gegenwart“, aber auch fast persönlich und im Duktus jovial wirkende Notizen, wie z.B. „Zur Ergreifung Eichmanns“.


Enderwitz, Ulrich: Konsum, Terror und Gesellschaftskritik – Eine Tour d´horizon, Münster 2005

Wie es der Untertitel schon erwähnt handelt es sich bei diesem Büchlein von Ulrich Enderwitz wirklich nur um eine „Tour d´horizon“. Auf knapp 120 Seiten versucht Enderwitz solch ausufernden Themen dem Verhältnis zwischen „Spätkapitalismus und Absatzkrise“(ja, das riecht nach Krisentheorie) demselben zwischen „Imperialismus und Islamismus“ nachzugehen. En passant soll dann auch die die Entwicklung der (post)andideutschen Linken zur affimatorischen Claqueurskompagnie erklärt werden. Dies kling nach einer ganzen Menge. Dieses Buch kann somit wohl auch als letzter Schritt der „Traditionalisierung des Ulrich Enderwitz“(ca-ira Mannen) angesehen werden. Trotz der teilweise auf Distinktionsakademismus frisierten Sprache ist dieses Werk für zwischendurch eine nette Anschaffung.
Außerdem lässt es sich komplett auf der der Enderwitzschen Homepage herunterladen.

enderwitz


Jappe, Anselm: Die Abenteuer der Ware – Für eine neue Wertkritik, Münster 2005

Anselm Jappe unternimmt unter falschem Emblem hier eine ehrenvolle Aufgabe. Mit diesem seinem Werk ist nun erstmals eine fundamentale Einführung in das Theoriegebäude der Wertkritik erschienen. Dieser ist immer schon ein marxologischer Hermetismus vorgeworfen worden. Diese Einführung sollte diese Mär nun endgültig Lügen strafen. Denn darin werden in durchwegs konziser Sprache die theoretischen Entwicklungen der letzten 15 Jahre der Zeitschrift „Krisis“(siehe auch unter Links) ausgerollt. Trotz diesen unbestreitbaren Meriten des Werkes geschieht dies aus zweierlei Gründen auf tönernen Füßen. Einerseits erwähnt Jappe zwar alle wertkritischen Basics von A wie Arbeitskritik bis Z wie Zusammenbruchtstheorie, dem essentiellen Abspaltungstheorem von Roswitha Scholz zollt er aber nur mit einer randglossarischen Fußnote Respekt. Deswegen ist es auch durchaus korrekt Jappes Monographie als Resumee der Krisis - Theoriebildung zu sehen. Bekanntermaßen ist gerade das Abspaltungstheorem eine der Gretchenfragen, welche die Spaltung der früheren Krisis evozierte, und zur Gründung des explizit wertABSPALTUNGSkritsichen EXIT!-Zusammenhangs führte.
Die zweite Ärgerlichkeit an Jappes Einführung ist der missratene Untertitel. Der Autor fasst die Entwicklung der letzten 15 Jahre zusammen; er gibt aber kein einziges Jota „für eine neue Wertkritik“. Dies erinnert eher an die allgemeine Hybris des konkurrenzistischen bürgerlichen Subjekts, als an fundamentale eine Kritik seiner Konstitutionsbedingungen.

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Baumeister, Biene/Negator, Zwi: Situationistische Revolutionstheorie. Eine Aneignung, Stuttgart 2005

Ein weiteres Werk aus der theorie.org Reihe. Diesmal eben sich beschäftigend mit der Situationistischen Internationalen(SI). Diese war mit ihrer Insistenz auf den Marxschen Fetischismusbegriff und ihrem antipolitizistischen Praxisbegriff eine wichtige Ausnahme im sonst so tristen Blätterwald des Arbeitsmarxismus der 50er (und 60er)Jahre. Mit dem Aufgreifen von surrealistischen und dadaistischen Konzeptionen versuchten die SI die proklamierte Aufhebung der Kultur zu vollführen. Das vorliegende Einführungswerk gibt über diese Tendenzen und Techniken auf rund 230 Seiten einen veritablen Überblick. Es gab eben auch jenseits der Debordschen „Gesellschaft des Spektakels“ eine (wertkritisch) aufzugreifende und neu zu konzeptualisierende Theorie des Situationismus. Zum Kennen lernen dieses Metier eignet sich das besagte Einführungsbuch vorzüglich.

situationismus


Siehe auch „Bücher to do stapel“ die Erste.

Dienstag, 10. Mai 2005

Religionskritik reloaded

Für Karl Marx hatte die Religionskritik im Wesentlichen mit Ludwig Feuerbach ihre Vollendung gefunden. Er selbst erweiterte und ergänzte die Feuerbachschen Aussagen nur in marginaler Weise. Seit dieser Zeit sind gute 160 Jahre vergangen, und die Religion ist so virulent, wie eh und je. Ob nun ein neuer katholischer Pontifex gewählt wird(irgendwer prägte dafür den von Sprachwitz zeugenden Ausdruck „Papolatrie“, eine Hybridbildung aus Papa und Idolatrie), oder HindunationalistInnen in Indien einer Form des „Vedakreationismus“ frönen(um mal ein weniger oft disputiertes Thema zu erwähnen), religiöse Pseudoerklärungen und Irrationalismen sind en vogue wie schon lange nicht mehr. Das Licht der Aufklärung, welches realiter niemals eine solche Strahlkraft innehatte, sondern vielmehr nur die legitimatorische Begleitmusik der dräuenden kapitalistischen Realmetaphysik war, scheint nun vollkommen erloschen. Das realmetaphysische „automatische Subjekt“(Karl Marx) verheert die ganze Welt, und verhilft der, zumindest in (West-)Europa teilweise sich im Rückzug befunden habenden, religiösen Metaphysik zu neuen Renaissancen.

In solchen Zeiten tut es Not wieder eine veritable Religionskritik zu lancieren. Genau dieses Verdienst macht sich auch die Berliner Wochenzeitschrift „Jungle World“ zu Eigen, indem sich die sporadisch erscheinende Beilage „the planet“ diesesmal eben mit der (emanzipatorischen) Kritik der Religion befasst. Anscheinend herrscht innerhalb der Jungle World Redaktion eine gewisse Form des Schuldgefühls, da diese besonders die letzten 3 Jahre nach 9/11, mithalf den Popanz des Islamismus zu konstruieren.

Wie dem auch sei, mit dieser Beilage sei nun mal ein wenig Buße getan. Der erste Beitrag) der Beilage(der als einziger auch zum Lesen ausdrücklich empfohlen sei), beschäftigt sich mit dem Einfluss und den Auswirkungen fundamentalistischer Hindus auf die Gebahren Indiens, und besonders auf deren „scientific community“. Obwohl der linerare Fortschrittsbegriff und der technokratische Wissenschaftspositivismus, den die Autorin dieses Textes der religiösen Volte als letzten rationalen Fels in der akademischen Brandung entgegenhält, von einem fortschrittsontologischen( ich bin fast versucht traditionsmarxistischen) Gesellschaftsbegriff zeugen; bleibt der Text äußerst aufschlussreich. Denn er zeigt weiters auf, und das ist schließlich und endlich das Verdienst des Textes, wie sich links camourflierte PostmodernistInnen dazu aufschwingen diese Art der religiösen Reaktion als authentische Kulturhandlung zu verklären. Denn beiden, dem Großteil der linkakademischen PoMos und der hinduistischen Reaktion, ist ihr Hass auf den emphatischen und apologetischen Wahrheitsbegriff der (positivistischen) Wissenschaft gemeinsam. So richtig es ist diesen zu kritisieren, so falsch ist es aber auch, sozusagen als Hinterseite derselben Medaille, den Anspruch auf Wahrheit komplett ad acta zu legen. Vielmehr gilt es im Geiste der kritischen Theorie beides zurückzuweisen, positivistische Wahrheitsemphase und postmoderne Relativiererei.

Bezüglich Religion hat wirklich schon Karl Marx kurz und prägnant alles Relevante gesagt:

„Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewußtsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät. Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewußtsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d'honneur [Ehrenpunkt], ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.
Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.
Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusion über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.
Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche. Die Kritik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne bewege. Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selbst bewegt.“
[ aus: »Zur Kritik der hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung.« (1844)]

Wie Marx auch anderer Stelle erwähnt, ist die Kritik der Religion, Voraussetzung aller Kritik. Sie ist Ideologiekritik sans phrase. Die Emanzipation des Menschen vom Kapitalverhältnis, was auch meint die Emanzipation von der Metaphysik im realen Gewande des „automatischen Subjekts“, ist die einzige Möglichkeit sich von der fetischistischen „Rückbindung“(Übersetzung von lat. religio)in Nichts endlich zu lösen.

P.S. Leider habe ich besagten Text gerade beim Googeln nicht entdecken können. Sofern ich Selbigen diesen finden sollte, wird er sofort verlinkt. Sollte jemand meine Ausführungen nachprüfen wollen, so ist er/sie momentan leider auf die Printversion angewiesen.

Mittwoch, 4. Mai 2005

Enjoy Esoterics! – Zu den liberalen Legitimationsphantasmen

Sich über die fehlende Kritik der liberalen Presse zu echauffieren, nimmt zumeist die Form einer Groteske an. Zwei Muster bestimmen dabei die gesamte Szenerie: Zum Einen versucht Der/die noch nicht völlig zynisierte linke KritikerIn der liberalen Sonntagsschule mit Hilfe der Kritik der politischen Ökonomie ihre eigene Unzulänglichkeiten vor Augen zu führen. Auf der anderen Seite ist der/die absolute ZynikerIn, welcher mit liberaler Presse tutto completto abgeschlossen hat, und bei Erwähnung derselbigen nurmehr kleinlaut und in polemischer Absicht „Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham!“(1) von sich gibt. So richtig die zweitere Erklärung de facto auch ist, denn mit besagtem apodiktisch wirkendem Marxschen Diktum ist eigentlich der Dolchstoss gegen den Liberalismus schon vollführt; so falsch wäre es die liberalen Presse nicht einmal eines zwischenzeitlichen Blickes zu zeihen.

Verstünden die liberalen Plappermäuler nämlich etwas von der Kritik der politischen Ökonomie, würden sie wohl nicht nur vom lieb gewonnenen Nachtwächterstaat endgültig Abschied nehmen. Gerade da sie dies aber nicht tun, und ihnen die Entwicklung des Kapitalismus, aus Schmähung des Marxschen Kapitals(und nicht nur diesem), ein (rotes) Buch mit sieben Siegeln bleiben muss, zeigen sich regressive Krisenlösungsmodelle dort am deutlichsten. Jene die schmallippig immer und immer wieder die auf die heilende, dennoch unsichtbare Hand des Marktes, insistieren, stehen der jetzigen Krise äußerst wortkarg gegenüber. So auch das Flagschiff des deutschen Liberalismus,“die Zeit“ . Selbige, ein voluminöses Wochenblatt mit honorigem Nimbus, hat nun unter dem Titel „Die Zukunft des Kapitalismus“ eine Debatte initiiert. Das Interesse des Blattes selbst an diesem Thema ist schon ein Indiz für die Krise. Zwar findet die Auseinandersetzung im Feuilleton, direkt neben Tipps für Sommeliers, statt, dennoch ist das alleinige Stattfinden der Auseinandersetzung schon ein Novum und gleichzeitig Eingeständnis der eigenen Fassungslosigkeit. Über das Ergebnis der oben gestellten Frage, die eigentlich gar keine Frage war, und der gesamten Debatte nach der Zukunft des Kapitalismus braucht natürlich nicht lange vor Gericht gesessen werden. Der erste Beitrag lässt schon. erahnen in welche Richtung der Diskussionszug gleichsam auf Schienen rollen wird. Mit Sicherheit nicht gen morgenrot.

Schließlich darf nun Unter den Titel „Das Leben in Amerika ist angenehm. Aber kein Modell für alle“ der Autor Amitav Gosh den legitimatorischen Maskenball beginnen. Gleich zu Anfang seines Traktates heißt es dann:

„Ich hielt dem Chefredakteur entgegen, er sei ungerecht: nicht gegenüber den Vereinigten Staaten, sondern gegenüber den großen Mächten von einst. Denn dass Imperien häufig edle Ideale verfolgen, ist eine Tatsache – das Problem liegt aber in den Methoden, die sie dabei anwenden und die regelmäßig die behaupteten Ziele und Zwecke untergraben. Warum? Weil der Prozess des Eroberns, des Besetzens und der Ausübung von Herrschaft Wirklichkeiten erschafft, die dann als Alibis verwendet werden, um die Verwirklichung der hehren Ideale immer weiter zu vertagen.“

Imperien, Nationen Länder, alle verfolgen die hehren Ziele der Menschlichkeit. Die westlichen Zivilisationsritter werden sich über dieses Sekundieren mit Sicherheit freuen, denn „Freiheit! Gleichheit! und Bentham! müssen schließlich auf der ganzen Welt ihre NutznießerInnen qua humanitas finden. Zwar zaudert der Literat ein wenig und führt im Weiteren einige Einschränkungen, wie die des Sklavenhandels an, um dann just einige Zeilen später wieder eine Eloge auf den Kapitalismus, besonders rheinischer Provenienz, anzustimmen:

„ Während sich dieser Konflikt anbahnte[gemeint ist der Irak Krieg, Anm. B.L.], entdeckten nämlich die meisten Europäer – zum ersten Mal in einem Jahrtausend –, wie sich die Welt aus der Sicht von Kolonisierten ausnimmt, und das ist keine Perspektive, die man ganz leicht wieder vergisst. Gleichzeitig zeichneten sich auch innerhalb des angelsächsisch-amerikanischen Bündnisses, welches das jahrhundertealte imperiale Projekt von Europa übernommen hat, ermutigende Anzeichen von Nonkonformismus ab. Es war historisch beispiellos, wie Kanada und Neuseeland abweichende Haltungen einnahmen.Aber der hellste aller Lichtpunkte ist heute Europa selbst, in seiner neuen Gestalt als Europäische Union. Es ist ein Lichtpunkt, weil es auf der Anwendung der zwangsläufig langsamen und zögerlichen Methoden des Friedens und der Verhandlung beharrt.“

Da jubelt und jollt das deutsche Feuilleton, ein des Geschichtsrevisionismus völlig Unverdächtiger, sagt genau das, was sich alle denken, aber in keinem Fall zu sagen getrauen. Die in humanistischer Tradition stehenden europäischen Friedensmächte stemmten sich alleinig aus ihren hehren Motiven heraus, die der Autor ja weiter oben schon attestiert hatte, gegen die kulturlosen und barbarischen Amis. Diese wollen partout den humanistischen Kapitalismus nicht vom „Imperium“ trennen, deshalb der ganze Salat. Gleich im Anschluss an die oben zitierte Stelle, kommt der Autor dann zum Zenit seiner ganzen Argumentation, rein publizistisch hat der Liberalismus ja schon längst gesiegt, doch der Claqueur muss noch einen essentiellen Endpunkt anbringen:

„Europa hat sich von den gefährlich verlockenden Teleologien des vergangenen Jahrhunderts abgewandt. Es zeigt der Welt, was durch die Konzentration auf Mittel statt auf Endzwecke erreicht werden kann. Nur auf diese Weise kann die Welt ihr gemeinsames Schicksal zurückerobern – aus den Fängen der neuen Advokaten des Imperialismus, aber auch von den Imperien der Begierde und des Verlangens, die unseren Planeten aufzufressen drohen.“

Da kommen den liberalen DemiurgInnen schon fast die Tränen. So elaboriert lässt sich die Totalitarismustheorie nur schwerlich ausdrücken: d[ie] gefährlich verlockenden Teleologien des vergangenen Jahrhunderts“ –zu diesem unfassbaren (Sprach-)Phantasma bedarf es einer eigenen Auseinandersetzung. In diesem fast schon lyrischen Schwadronadenduktus geht es dann auch flott weiter, „durch die Konzentration auf Mittel statt auf Endzwecke“ - in kritischer Intention hieß das noch instrumentelle Vernunft. (…) aus den Fängen der neuen Advokaten des Imperialismus, aber auch von den Imperien der Begierde und des Verlangens, die unseren Planeten aufzufressen drohen“.

Das gesamte Elend des (europäischen) Liberalismus spiegelt sich besonders im letzten Absatz des Textes. Auf eine genauere Analyse werde ich mich nicht einlassen, dennoch zeigt sich alleine an diesem Abschnitt, dass die Apologetik der kapitalistische Realmetaphysik in Zeiten der Krise, aufgrund der ihr immer offener zutage tretenden immanenten Absurditäten, im Endeffekt in esoterisches Gebrabbel münden muss. Nichts anderes stellt der Liberalismus in Permanenz zur Schau.


(1) Das gesamte berühmt-berüchtigte Marxzitat: „Freiheit, Gleichheit, Eigentum, und Bentham. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z.B. der Ware Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt (...). Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander (...). Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham: denn jedem der beiden ist es nur um sich selbst zu tun." (K1, S.189f), Diese polemische Spitze Marxens, gkenntzeichnet durch seinen messerscharfen Zungenschlag, besonders gegen den Utilitaristen Bentham, kann ganz allgemein als Kritik an der zirkulär verkürzten Ideologie der bürgerlichen Freiheiten gelten.

Montag, 2. Mai 2005

Wie die Größe eines Mannes so auch sein…?

Tagespolitische Ereignisse zeichnen sich immer wieder durch eine gewisse Art der (sprachlichen) Redundanz aus. Wer das politische Spektakel eine Zeit lang verfolgt hat, wird sich, nebst der sowieso geschraubt orwellschen Sprache, einige bestimmte Phrasen immer wieder zu Ohr kommen lassen müssen. Einer der Signifikantesten Aussprüche in diesem politischen Jargon (der Eigentlichkeit) ist die Rede vom kleinen Mann. Beginnend beim Parteisozi und Gewerkschaftshuber über die FPÖ/BZÖ Recken bis zum Reichsbahnonkel, meinen es alle besonders gut mit der Spezies des „kleinen Mannes“. JedeR ist um dessen Wohl besorgt. Doch allein schon phänomenologisch gibt es Probleme bei der Bestimmung dieses „kleinen Mannes“. Um die Körpergröße kann es wohl kaum gehen, keine politische Partei wird sich explizit um kleinwüchsige Menschen kümmern, gerade weil diese prozentual einen äußerst geringen Teil des demokratischen Stimmviehes darstellen. Vielmehr kann es bei diesem kleinen Mann also nicht vordergründig nicht um die Körpergröße gehen, wiewohl er auch physisch klein sein kann; es geht vielmehr um eine ganz bestimmte Art des kapitalistischen Soziotypus´. Nämlich um den prototypischen WählER(Großschreibung als Emphase der exkludierenden Männlichkeit) im Hoheitsgebiet des Stammtisches. Der kleine Mann und der Stammtisch bilden also so etwas wie eine komplementäre Einheit.

Dabei wundert es dann auch nicht, dass sich bisher immer Jörg Haider emphatisch auf den kleinen Mann und dessen Rechte, berufen hat. Der selbst yuppifizierte faschistische Agitator setzt auf das yuppifizierte, soll heißen fordisierte, kapitalistische Subjekt. Dieses hat es zwar gerade qua Lohnarbeit zu gewissem bescheidenem Reichtum gebracht, dennoch, oder gerade deshalb, bleibt es bei seinen Bornierungen. Bekanntermaßen, bedeutet Leben in kapitalistisch konstituierten Gesellschaften in Mitten von Überfluss an Waren zu entbehren, obwohl aufgrund der entwickelten Produktivkräfte objektiv die Möglichkeit gegeben wäre, allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Adorno, auf den eine genauere sozialpsychologische Untersuchung des „kleinen Mannes zu rekurrieren hätte(besonders auf seine Studien zum autoritären Charakter) beschreibt die Auswirkungen die ein solcher irrationaler Verzicht auf die Psyche des Individuums, vulgo auf unseren kleinen Mann und seine Sinnesergüsse, hat, folgendermaßen: „Damit das Individuum, die ihm aufgezwungenen, vielfach unsinnigen Verzichte zu Wege bringt, muss das Ich unbewusste Verbote aufrichten und selber weiterhin sich im Unbewussten halten“(Adorno, Verhältnis Soziologie Psychologie, Seite 71). Das Ich des gesellschaftlich Kleingewachsenen muss dieses irrationale Ungleichgewicht also austarieren. Verzicht und Verdrängung müssen praktiziert werden obwohl dies für den/Die EinzelneN(besonders für Männer, aufgrund der Sozialisation als „komplett wertvergesellschaftet“, was umgekehrt keineswegs heißt Männer würden sich eher der Emanzipation bemüßigen) nicht einsehbar ist, es vielmehr auch keinen rationalen Grund dafür gibt. Es kommt zu einem durch die gesellschaftlichen Verhältnisse induzierten zusätzlichen Triebverzicht. Dieser ist direkt aus den gesellschaftlichen Verhältnissen abzuleiten, wörtlich eben den Zumutungen des kapitalistischen Joches. Das daraus resultierende Ohnmachtsgefühl steht darauf folgend im Widerspruch zum Bedürfnis nach narzisstischer Aufwertung der eigenen kleinen Person. Diese Zerrissenheit führt zur Frage, wer daran schuld sei. Die Antwort steht beim kleinen Herrn Hinz und Kunz, bei Herr oder Frau ÖsterreicherIn längst fest: Ich nicht! Da das Individuum nämlich die Zusammenhänge zwischen den auf ihn wirkenden Zwängen nicht erfassen kann, sucht es – allgemein formuliert– Schuldige. Der kleine Mann ist also dadurch charakterisiert, dass er seine Regungen bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit auf andere projiziert. . Worüber man sich selbst nicht bewusst werden möchte und kann, wird an anderen gesehen. Sei es nun die Angst der sozialen Depravation, verheimlichte homoerotische Neigungen Sehnsucht nach einem besseren Leben, nach unverstümmelter Sexualität oder Anderes Verdrängtes. . Was zur Zurichtung als bürgerliches Subjekt, also zur Subsumption unter kapitalistische Joch, notwendig ist, aber nicht eingestanden werden darf, wird den Anderen zugeschrieben um es dann hemmungslos an Selbigen zu verfolgen zu können. Damit wird auch die eigene stets prekäre und tendenziell überflüssige Existenz bestärkt. Der kleine Mann konstituiert sich selbst also nur im Hass auf Andere. In diesem Zusammenhang ist die Bezeichnung klein wohl wirklich eine sehr treffliche.

Gerade auch aus dem oben genannten Umstand ist die Rekurrenz des faschistischen Agitators auf den kleinen Mann, und dessen Regungen, also seine rassistischen und antisemitischen Ausfälle, verständlich. Dabei bedingen sich beide gegenseitig, ein Jörg Haider bezieht sich dabei immer wieder im emphatischen Duktus, auf den kleinen Mann. Aussagen a lá „Die Interessen des kleinen Mannes müssen gewahrt werden“ sind dabei auf der Tagesordnung. Der faschistische Führertut nichts anderes als, die abstrakten Ängste der Massen zu kanalisieren, spricht dabei aus, was diese denken, sich aber nicht sagen getrauen und fungiert somit als deren Maul. Es kommt zu einer kollektiv-narzisstischen Aufwertung des/der Einzelnen in der Gemeinschaft. Der Führer symbolisiert dabei diese Gemeinschaft. Auch die schlecht integrierte, bedrückende eigene Gewissensinstanz wird an den Führer abgegeben, er entscheidet nun, was erlaubt und was verboten ist – eine enorme psychische Erleichterung für klein Grethi und Plethi.

Der kleine Mann(und auf dem MANN ist zu insistieren) ist also nichts anderes als die prototypische Form des wertvergesellschafteten Subjektes(zu diesem fundamentalen Unterschied, und warum Frauen meiner Ansicht nach nicht primär wertvergesellschaftet sind, sollte demnächst noch ein Blogeintrag folgen. Also stay tuned:-)). Resultierend aus einer unpersönlichen Welt, dem „Geist geistloser Zeiten“(Karl Marx), reagiert er seine systematisch negierten Triebe gegen das imaginierte Oben, also in antisemitischer Rabulistik, und gegen das imaginierte Unten, in rassistischen Plattitüden, ab. Getrieben von den Versagungen des Kapitalismus, reagiert der vereinzelte Kleineinzelne, der nichts anderes darstellt als den potenziellen Faschisten, der seine absolute Wut zur Destruktion dann im Pogrom auslebt, als regressives Ungetüm. Dabei sehnt es sich insgeheim nur nach „des Glückes ohne Macht, des Lohnes ohne Arbeit, der Heimat ohne Grenzstein“ wie Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung schreiben. Diesem zweiten verklausulierten Wunsch sollte doch nachzukommen sein.

P.S. Bei diesem Kurztext handelt sich teilweise um eine Zusammenwürfelung von Teilen anderer Texte meinerseits. Textuelles Recycling wegen nicht endenwollender Grippe sozusagen.
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Sonntag, 17. April 2005

Kapitale ohn´Unterlass

Im Zentrum des Kapitalismus steht dessen Namensgeber das Kapital. Diese Namensgebung scheint einigermaßen stringent, da die selbstzweckhafte Bewegung des Wertes die Synthesis der Menschen erst erschafft, und somit Gesellschaft immer erst ex post als Wertvergesellschaftete konstituiert wird. Das Kapital als Vermittlungsform und gesellschaftliches Verhältnis ist also für die jetzige historisch determinierte Gesellschaft, die zentrale Kategorie. Kritische Theorie hat sich somit nolens volens immer in irgendeiner Form auf diesen Strukturzusammenhang zu beziehen. Heutzutage geschieht dies zumeist in legitimatorischer wenn nicht sogar apologetischer Form. Allerorten, besonders in den Sozialwissenschaften, ist die Rede von symbolischem und sozialem Kapital, sollte es hart auf hart kommen, auch schon mal vom Humankapital.

Diese Wortkreationen sind durchaus ambivalent. Sie verkennen durchwegs die kritische Intention des Wortes „Kapital“ in der Kritik der politischen Ökonomie, und verwenden es stattdessen als postmoderne Allerweltskategorie. So richtig es ist alles auf die den Gesellschaftlichkeit strukturierenden Formzusammenhang Wert rückzubinden, so falsch ist es, Kapital als tautologisches prozessierendes sozietäres Verhältnis auf alle menschlichen Äußerungen auszuweiten. In diesen Wortschöpfungen spiegelt sich ein realer Prozess in verzerrter Form wider. Die Warenform und der Verwertungsimperativ treten immer näher an den Menschen und seine physischen und psychischen Entäußerungen heran. Die Warenmonade wird ergänzt durch den Konsumcontainer und den Staatsbürgerinnenbrutkasten. Daraus ergeben sich dann solche logischen Stilblüten orwellscher Sprache, wie das Humankapital. Selbiger Ausdruck erfreut sich besonders im universitären Umfeld größter Beliebtheit. Die Universitäten erhalten den Rohstoff Mensch, und verwandeln ihn in verwertbares Humankapital. Der Ausdruck Kapital trifft hier gleichzeitig zu und nicht zu. Einerseits ist Kapital eben nur jenes, im oben beschriebenen Sinne, gesellschaftliche Verhältnis, andererseits beschreibt der Begriff Humankapital einen Prozess der immer weiteren und schnelleren Urbarmachung des Menschen. Die adrette Betriebswirtin, die weiß, dass Markt und Kapital immerwährende Konstanten menschlicher Wechselwirkung bilden, und der positivistische Politologe, der WählerInnenstromanalysen verfasst, sind dabei die zwei Seiten derselben Medaille. Die Tautologisierung schreitet vollends voran die Menschen sind immer mehr „verwertungsunmittelbar“. Kein Refugium und kein Residuum bleiben zurück. Überall kommt diese Unmittelbarkeit zum Vorschein. Z.B. als Fitnesswahn der Arbeitskraftbehälter, oder als Modeneurose der Konsumcontainer.

Diese totale Inwertsetzung aller menschlichen Regungen tritt in der finalen Krise des Kapitals immer desaströser hervor. Der einzelne Mensch ist dabei in seiner Vereinzelung total (wert)vergesellschaftet. Moishe Postone hat diese Entwicklung in zwei Sätze gebannt, die auch als Modernisierung und Konkretisierung des berühmten Springquell-Diktums Marxens aus dem Kapital gelesen werden sollte. Denn:
„der Kapitalform hängt der Traum einer äußersten Grenzenlosigkeit an, eine Phantasie von Freiheit als der völligen Befreiung von aller Stofflichkeit, von der Natur. Dieser 'Traum des Kapitals' wird zum Alptraum für all das und all diejenigen, wovon das Kapital sich zu befreien versucht - den Planeten und seine Bewohner. Die Menschheit kann aus diesem schlafwandlerischen Zustand nur erwachen, wenn sie den Wert abschafft."( M. Postone: "Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft", S. 576)



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