Donnerstag, 24. März 2005

Coito, ergo sum?! – Zur Schandelei über Liebe

„Es ist was es ist sagt die Liebe“ dichtete einst Erich Fried. Heutzutage wird solch lyrisches Schaffen dank kulturindustrieller Verwurstung zu einem x-beliebigen Popsong. Im Falle von Deutschland, in Person der Band Mia, sogar mit nationalistischer Grundierung. Liebe gilt der warenproduzierenden Gesellschaft grundsätzlich als Residuum der Authentizität. Die „erste Natur“ bricht sich durch sie Bahnen und kommt zum Vorschein.

Genau in diese Kerbe schlägt auch Franz Schandl, wertkritischer Publizist aus Wien. In einem Schwerpunkt der Zeitschrift Unique schreibt er, Bezug nehmend auf die Liebe, unter dem Titel "Ineinander über - Kleine Hegelei auf die Liebe und das Vögeln“unter anderem folgendes:“ Das Subjekt wird zum Objekt, obwohl es Subjekt bleibt; das Objekt wird zum Subjekt, obwohl es Objekt bleibt. Es ist eine Doppelung im Akt, man/frau ist in und außer sich. (…)Das Subjekt hebt sich im Objekt auf, das Objekt ist im Subjekt gut aufgehoben.“ Netterweise redigierte die Redaktion aufgrund der Blattraison hier das Schandelsche „man“ in ein man/frau. Das alleinige „Man“ wäre der Bedeutung aber auf jeden Fall zuträglicher gewesen. Denn die Rollen des Subjekts und Objekts, gerade auch innerhalb von Liebesbeziehungen, sind klar verteilt. Frauen sind die Objekte, Männer die Handlungssubjekte. Schandl räsoniert weiter: “Was sich liebt, das fickt sich! Nichts ist lustvoller als der auf Liebe basierende menschliche Koitus. Wer auf ihn – aus welchen Gründen auch immer – verzichtet oder verzichten muss, verliert Leben im Leben, enthält sich des größten menschlichen Genusses. Jeder Augenblick eines solchen Glücks ist ein Stück gewonnenen Lebens. Leben ist Lieben.“ Liebe erfährt seine Konkretion, laut Schandl, also im lustbringenden, final dann orgastischen, Koitus. Auch hier abstrahiert Schandl von der gesellschaftlich vermittelten Form der Liebe. Der Koitus ist nicht einfach zu sich kommende „Erste Natur“ und Treibregung. Vielmehr manifestiert sich gerade im Blümchensex die bürgerliche Aufspaltung in Subjekt und Objekt. Auch hier ist die Frau das Objekt und der Mann Subjekt. Genau diese Subjekt- Objekt Dialektik, die auch ein Fragment zur Erklärung der Homophobie darstellt, vernachlässigt Schandl. Für ihn ist der (hetero- koitale) Sex ein nicht verwertbares Überbleibsel, das somit tendenziell dem Kapitalismus gegenüber transzendentes Potential aufweist. Das Besondere, der Koitus, wird zum gesellschaftlich Unvermittelten erklärt, weil die Gesellschaft das wahre Allgemeine in keinster Weise zu verwirklichen vermag.
Schandl schlägt seine unvermittelte Liebe aber gnadenlos über den einen Leisten des Koitus und meint weiter:„ Vögeln ist voll untrennbarer Momente seiner Extreme: Freiheit und Gefangenheit, Fesselung und Entfesselung, Unterwerfung und Unterworfensein. Vögeln ist ein Akt permanenter Sichselbstaufhebung im anderen, das Gleiten von einem in das andere und das Zurückfluten, das Raus und Rein, das Umfangen und Auslassen.“
Dies mag schon stimmen, nur ist das Vögeln in der repressiven Gesellschaft keineswegs frei von repressiven Elementen. Das patriarchale System fußt unter anderem auf der grundlegenden Festsetzung der Frau auf das Objekt. Dies im Besonderen im Koitus.

Natürlich sei keiner/m das Vögeln auch nur in irgendeiner Weise verlitten, oder gar verboten, es ist aber mit aller Vehemenz davor zu warnen dieses als Unvermitteltes authentisch Wahre zu mystifizieren. Dagegen ist mit Adorno aus dem Aphorismus Constanze der Minima Moralia festzuhalten: „In der Sehnsucht danach[gemeint ist die Liebe, B.L.], die den Dispens von der Arbeit meint, transzendiert die bürgerliche Idee von Liebe die Gesellschaft. Aber indem sie das Wahre unvermittelt im Allgemeinen Unwahren aufrichtet, verkehrt sie jenes in dieses.“ Die Liebe am Koitus festzumachen, dann als (noch) nicht Vergesellschaftetes darzustellen, ist bestenfalls, wegen dem Gusto an Schandelschem Sprachwitz, naiv.

Alle Schandl Zitate sind folgendem Text entnommen: http://gerda.univie.ac.at/unique/httpd/htdocs/?tid=570

P.S. Ja das ist mein erster Beitrag ich hab mich nun endlich entschlossen hier zu bloggen. In nächster Zeit werden die Einträge dann mit einer gewissen Regelmäßigkeit von Statten gehen.



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