Sonntag, 3. April 2005

Die Jubelperser des Pontifex

Da über die Toten nur gut gesprochen werden darf, und der Papst schon zu Lebzeiten einer der Besten, der auf Erden Weilenden, gewesen zu sein scheint, überschlagen sich die deutschsprachigen Feuilletons nun mit Huldigungen und Elogen auf den „Größten aller Brückenbauer“. Exemplarisch sei hier die österreichische Tageszeitung „Der Standard“ mit seiner Papsthagiographie genannt. Bei dieser durfte sogar der Chefredakteur Gerfried Sperl höchstpersönlich ans Werk um dem Papst den letzen Salut zu erweisen. Dort heißt es dann in einem Nekrolog mit dem pathetischen Titel „Ein unbeugsamer Hüter des Glaubens“ schnörkellos:

„Ein Menschenfischer, ein Medienstar von Anfang an, ein glühender Antikommunist, der mit dem Kommunismus aber eines gemeinsam hatte, den konsequenten Zentralismus.“

Seine Reverenz ist ja auch wirklich beeindruckend, und reicht in der liberalen Presse westlichen Zuschnitts zumindest zum Platz des „Popstars mit Abschlägen“. Erste Eigenschaft: „glühender Antikommunist“, zweite direkt darauf bzw. daraus folgende „Medienstar“. Gerfried Sperl kann gar nicht anders seine antikommunistische Ader ein zweites Mal zu adeln, nämlich wenn es unter der Überschrift „politische Leistung“ heißt:

„Besonders hervorzuheben ist die Rolle des Papstes beim Umsturz in Osteuropa. Wojtyla hat nicht nur enormen moralischen Beistand geleistet, er hat die oppositionelle polnische Gewerkschaftsbewegung Lech Walesas auch finanziell unterstützt. Vor allem hat er auf Seiten der Kirche demonstriert, was Vaclav Havel und Andrej Sacharow auf Seiten der Dissidenten immer wieder fast heroisch durchgehalten haben: dass man keine Divisionen braucht, um Unrechtsregime zu Fall zu bringen.“

Hinzuzufügen wäre vielleicht, dass sich Johannes Paul II. mit anderen „Unrechtsregimes“ aufs Prächtigste verstand. Es seien beispielsweise nur seine öfteren Téte á Tétes mit Augusto Pinochet oder seine Dämonisierung der Befreiungstheologie genannt. Um solche missliebigen Fakten erst gar nicht aufkommen zu lassen, hat „der Standard“ prophylaktisch die Kommentarfunktion unter den Papstartikeln gesperrt. Somit wir auch weiterhin mit keinem Wort Erwähnung finden, dass der Papst ein ordinärer Reaktionär war, der versuchte seine Schäfchen einem strengen Regiment zu unterwerfen. So trat er sein Leben lang für den Gebärzwang von Frauen ein, brandmarkte AIDS als die Geisel Gottes für Homosexuelle, und verglich desöfteren Abtreibungen mit dem Holocaust. All dies findet in einer liberalen Tageszeitung aber keine Erwähnung, vielmehr kann mensch sich dafür beim ORF ins Kondolenzbuch eintragen.
Ganz grundsätzlich hatte ich mit dem Todeskampf des Papstes als Person eine gewisse Form von Mitleid. In seiner Funktion als Obermullah einer Großsekte empfinde ich ihm gegenüber aber nichts als antiklerikale Ablehnung. Vielmehr steht das Christentum im krassen Gegensatz zur Aufhebung menschliches Leides und ist nicht mehr als ein legitimatorisches Vademecum, das helfen soll das Leid hinzunehmen, anstatt es abzuschaffen. Denn der glückliche Zustand, die Befreiung vom kapitalistischen Joch, wird ins Unendliche nach dem Tode transponiert. Franz Schandl drückt dies in einem kurzen Text über die kulturindustrielle Produktion der Leiche Papst pointiert folgendermaßen aus:

„Das ist die große, letztlich lebensfeindliche Botschaft des Christentums: Das Kreuz soll ertragen werden. Christliche Religion ist lediglich Beistand beim Leiden. Erlösung gibt es nur im Jenseits. Sie deutet auf den Tod, nicht auf das Leben, das es zu erringen gilt. Sie ist etwas anderes als Verwirklichung. Wo das irdische Glück fehlt, hat das himmlische leichtes Spiel. Gott ist das Extraordinäre der menschlichen Defizite. Umgeleitete Lust, umgeleitetes Leben. Ein Orgasmus, den eins nicht hat.“


Oder um es mit dem "ollen Kalle" zu sagen: Ihr christen habt ein maßgebliches interesse an ungerechten strukturen, die opfer produzieren,
denen ihr dann euere herzen in wohltätigkeit ausschütten könnt.(Karl Marx)


In diesem Sinne: „dixi et salvavimus animas nostras“



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