Freitag, 1. April 2005

Von der Krise zum Ausstieg

Die wertkritische Linke erlebte im letzten Jahr eine veritable Erschütterung. Ihr „Think –Thank“ der Förderverein Krisis e. V., der die gleichnamige Theoriezeitschrift publiziert hatte, spaltete sich. Aus einem Label wurden Zweie. Nämlich ein neues Projekt namens EXIT! und eines das weiterhin unter dem Namen Krisis figuriert. Dementsprechend gab es fortan auch zwei Periodika, die „Krisis“ und die „EXIT!“. Was anfangs alleine nach gekränktem Ego einiger Intellektueller im linksradikalen Elfenbeinturm aussah, kristallisierte sich innerhalb dieses Jahres immer mehr als handfeste inhaltliche Differenz heraus.

Die Krisis trat nämlich im Stand und konnte im letzten Jahr so gut wie nichts der wertkritischen Theoriebildung hinzufügen, EXIT! hingegen entwickelte sich zum eine vielschichtigen Projekt, dass weder dem Bewegungsopportunismus anheim fiel, noch in der eigenen linkslinken hermetischen Trutzburg verharrte. Vielmehr zeigt sich mit dem soeben erschienen EXIT! – Heft Nummer zwei, dass allgemein weiterhin Bedarf an wertkritischer Theorieblidung vorherrscht. Um die Krisis herrscht seit knapp einem halben Jahr Funkstille.Sie publizierte so gut wie keine Texte mehr. Die Evolution der Wertkritik ist anscheinend (nicht nur namenstechnisch) weiter geschritten, nämlich vom Konstatieren der (finalen) Krisis des warenproduzierenden Systems zum Fokussieren auf seinen endgültigen Exitus. So unrealistisch dieser momentan auch sein mag, eins sei gesagt: „don´t miss the train!“. Als Mitfahrticket gilt vorerst einmal die neue EXIT! Nummer zwei.

P.S. Dies ist nur eine kurze polemische Zusammenfassung eines in Rohfassung fertigen Artikels über den „EXIT!/Krisis Fork“. Sobald Selbiger formell publiziert ist, wird er auch in diesem Blog erscheinen. Und ja, der Artikel wird auch Argumente enthalten, warum die Krisis momentan leider als lethargisch betrachtet werden muss.

Donnerstag, 31. März 2005

Nachtrag zur Ware Jackson

In der letztwöchigen Jungle World findet sich ein Artikel von Martin Ströhlein zum Spektakel rund um den Pädophilie-Prozess Michael Jacksons. Da dieser durchwegs informativ ist, und genaueres in Bezug auf die kulutindustrielle (Re-)Produktion in Form besagter TV-Show zutage fördert, welche ich im letzten Beitrag kurz erwähnt habe, sei der Artikel hiermit herzlichst empfohlen.

Freitag, 25. März 2005

Die Ware Jackson

Der King of Pop ist wohl nicht erst seit seinem letzten Album als „fallen“ zu bezeichnen. Nicht nur, dass dieses phänomenal floppte, nein, Michael Jackson ist aufgrund einer anderen Szenerie in den Medien omnipräsent(nicht nur in den Teenie – Schmonzetten von VIVA und MTV). Er ist der Pädophilie angeklagt, also des in sexuellen Kontakt Tretens mit einer de jure noch nicht mündigen Person.

Über Jacksons sexuellen Dispositionen soll hier auch gar nicht vor Gericht gesessen werden. Vielmehr zeigt sich auch an diesem Fall prototypisch wie die Kollektivprojektion gefährlicher Kinderschänder ihre reißende Wirkung erzielt. Zu diesem Phänomen hat die trotzkistische World Socialist Website, die ansonsten traditionsmarxistische Stilblüten vertreibt, unter dem Titel „Medien, Unterhaltungsindustrie und Michael Jackson“ , einiges Wahres gesagt. Zwar hat der Text es sich nicht nehmen lassen, sich zu entblöden Jackson zum „working class hero“ zu stilisieren, dennoch trifft der Text an gewissen Stellen den Punkt ziemlich genau. Besonders wenn es um die kulturindustrielle Produktion der Ware Pop Star und der Implementation des ganzen Spektakels geht. Deshalb sei der Text hier auszugsweise dokumentiert:

"Jackson, der aus der Arbeiterklasse stammt, ist sich seines Publikums wahrlich bewusst und fühlt sich ihm verpflichtet. Man kann sich vorstellen, wie er die immense Sehnsucht in der Bevölkerung als Druck und Forderung empfindet, und es ihm schwer fällt, dieses Kreuz zu tragen. Er muss auch spüren, dass Vergötterung schnell ins Gegenteil umschlagen kann, wenn sich die Wahrnehmung durchsetzt, dass das Objekt der Bewunderung durch mutmaßliche Missetaten Verrat begangen hat.
Die emotionalen Bedürfnisse der Öffentlichkeit werden von den gnadenlosen finanziellen Forderungen der Industrie noch weitaus übertroffen. Nirgendwo sonst auf der Welt ist die relativ nahtlose Verwandlung des Starkünstlers in eine Profitmaschine so perfektioniert, mit so verheerenden Folgen.


Pathologisierung und Pathos hin oder her, der Text spricht hier eine sehr wesentliche Entwicklung an, nämlich die „Zur Ware Machung“ von allen möglichen menschlichen Bedürfnissen, geht es jetzt ums Sexuelle(Stichwort: Marcuse/repressive Entsublimierung), oder eben um die Pop Star Retorte. Jackson ist aufgrund seiner körperlichen Wandlungen wohl das schillernste Beispiel. Es ist die absolute Durchsetzung alias Totalisierung der Warenform, die solch groteske Abziehbilder, seien sie nun wirklich aus körperlicher Veränderung resultierend wie im Falle Michael Jackson, oder doch nur inszeniert, wie z.B. Britney Spears. Weiter der WSWS – Text:

„Jackson hatte eine Karriere in der Unterhaltungsbranche, die mehr verlangte und "totaler" war als in den meisten Fällen. Er war beinahe sein ganzes Leben lang ein Star und muss dem Musikgeschäft in großem Maße für das danken, was er ist. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung im Jahre 2003 schrieben wir: "Warum sollte man übermäßig schockiert oder empört über Jacksons physische Transformation sein? Er ist nur den Argumenten der Kultur selbst, ihrer unermüdlichen Sucht nach dem Falschen und Irrealen, bis zu ihrer logischen, wenn auch grotesken Konsequenz gefolgt.
Seine Unreife scheint aus denselben Umständen zu kommen - dem Leben, das er führte, wie eingesponnen im Kokon des Show-Business, schließlich umgeben von einer gigantischen Entourage, deren einzige Bestimmung es war, ihm jeden Spleen von den Lippen zu lesen. Der ‚Peter-Pan-Komplex’, die offensichtlich vorgetäuschten Hochzeiten, die Ersatzmutter für sein drittes Kind- alles weist auf einen Menschen hin, der zwischen widersprüchlichen Anforderungen hin- und hergerissen ist."


Hier amalgamieren dann zwei durchaus verschiedene Phänomene, einerseits der Nimbus des Pop Stars, der ja der affirmativen Anhimmlung durch den Fan bedarf, und die Projektion gegenüber (imaginierter) Pädophilie. Noch potenzierende Wirkung dabei hat Jacksons als inauthentisch wahrgenommenes Äußeres.
Nochmals WSWS :

„Jackson, der vage als liberale Ikone wahrgenommen wird, ist zum nützlichen bête noire der Ultrarechten geworden, zu einer der menschlichen Zielscheiben, auf die reaktionäre Elemente einen Teil der orientierungslosen Wut lenken wollen, die in der amerikanischen Durchschnittsbevölkerung brodelt. Rassismus und Schwulenfeindlichkeit liegen direkt unter der Oberfläche ihrer Angriffe. Die pornografische Rechte, die immer nach Schmutz Ausschau hält, kann sich keine Strafe ausdenken, die für Jacksons angebliche Verbrechen zu hart wäre: lebenslänglich, Kastration, sogar Todesstrafe.
Die sexuellen Hexenjäger sind offensichtlich fasziniert und angezogen von dem, was sie zu verfolgen und zu bannen versuchen. Hier sehen wir Amerikas puritanische Traditionen auf den Kopf gestellt. Der Clinton-Lewinsky-Skandal öffnete die Schleusen für eine mediale Lüsternheit und Obsession für Perversionen, die nicht mehr nachgelassen hat. Der Hunger rechter, proto-faschistischer Kreise danach, von ihnen verachtete Persönlichkeiten auf schäbige Art zu erniedrigen, ist nicht zu stillen, selbst wenn dafür "Skandale" erfunden und hochgespielt werden müssen.“


Die letztendliche Ironie der ganzen Sache dann besteht darin, dass der sinkende Stern der Ware Jackson, sogar jetzt noch zur kulturindustriellen Verquasung taugt. So gibt es auf VIVA eine Serie die den Prozess Jackson, in aller Genauigkeit im Gerichtssaal, nachstellt. Wahrlich authentisch! Yeah!

Donnerstag, 24. März 2005

Coito, ergo sum?! – Zur Schandelei über Liebe

„Es ist was es ist sagt die Liebe“ dichtete einst Erich Fried. Heutzutage wird solch lyrisches Schaffen dank kulturindustrieller Verwurstung zu einem x-beliebigen Popsong. Im Falle von Deutschland, in Person der Band Mia, sogar mit nationalistischer Grundierung. Liebe gilt der warenproduzierenden Gesellschaft grundsätzlich als Residuum der Authentizität. Die „erste Natur“ bricht sich durch sie Bahnen und kommt zum Vorschein.

Genau in diese Kerbe schlägt auch Franz Schandl, wertkritischer Publizist aus Wien. In einem Schwerpunkt der Zeitschrift Unique schreibt er, Bezug nehmend auf die Liebe, unter dem Titel "Ineinander über - Kleine Hegelei auf die Liebe und das Vögeln“unter anderem folgendes:“ Das Subjekt wird zum Objekt, obwohl es Subjekt bleibt; das Objekt wird zum Subjekt, obwohl es Objekt bleibt. Es ist eine Doppelung im Akt, man/frau ist in und außer sich. (…)Das Subjekt hebt sich im Objekt auf, das Objekt ist im Subjekt gut aufgehoben.“ Netterweise redigierte die Redaktion aufgrund der Blattraison hier das Schandelsche „man“ in ein man/frau. Das alleinige „Man“ wäre der Bedeutung aber auf jeden Fall zuträglicher gewesen. Denn die Rollen des Subjekts und Objekts, gerade auch innerhalb von Liebesbeziehungen, sind klar verteilt. Frauen sind die Objekte, Männer die Handlungssubjekte. Schandl räsoniert weiter: “Was sich liebt, das fickt sich! Nichts ist lustvoller als der auf Liebe basierende menschliche Koitus. Wer auf ihn – aus welchen Gründen auch immer – verzichtet oder verzichten muss, verliert Leben im Leben, enthält sich des größten menschlichen Genusses. Jeder Augenblick eines solchen Glücks ist ein Stück gewonnenen Lebens. Leben ist Lieben.“ Liebe erfährt seine Konkretion, laut Schandl, also im lustbringenden, final dann orgastischen, Koitus. Auch hier abstrahiert Schandl von der gesellschaftlich vermittelten Form der Liebe. Der Koitus ist nicht einfach zu sich kommende „Erste Natur“ und Treibregung. Vielmehr manifestiert sich gerade im Blümchensex die bürgerliche Aufspaltung in Subjekt und Objekt. Auch hier ist die Frau das Objekt und der Mann Subjekt. Genau diese Subjekt- Objekt Dialektik, die auch ein Fragment zur Erklärung der Homophobie darstellt, vernachlässigt Schandl. Für ihn ist der (hetero- koitale) Sex ein nicht verwertbares Überbleibsel, das somit tendenziell dem Kapitalismus gegenüber transzendentes Potential aufweist. Das Besondere, der Koitus, wird zum gesellschaftlich Unvermittelten erklärt, weil die Gesellschaft das wahre Allgemeine in keinster Weise zu verwirklichen vermag.
Schandl schlägt seine unvermittelte Liebe aber gnadenlos über den einen Leisten des Koitus und meint weiter:„ Vögeln ist voll untrennbarer Momente seiner Extreme: Freiheit und Gefangenheit, Fesselung und Entfesselung, Unterwerfung und Unterworfensein. Vögeln ist ein Akt permanenter Sichselbstaufhebung im anderen, das Gleiten von einem in das andere und das Zurückfluten, das Raus und Rein, das Umfangen und Auslassen.“
Dies mag schon stimmen, nur ist das Vögeln in der repressiven Gesellschaft keineswegs frei von repressiven Elementen. Das patriarchale System fußt unter anderem auf der grundlegenden Festsetzung der Frau auf das Objekt. Dies im Besonderen im Koitus.

Natürlich sei keiner/m das Vögeln auch nur in irgendeiner Weise verlitten, oder gar verboten, es ist aber mit aller Vehemenz davor zu warnen dieses als Unvermitteltes authentisch Wahre zu mystifizieren. Dagegen ist mit Adorno aus dem Aphorismus Constanze der Minima Moralia festzuhalten: „In der Sehnsucht danach[gemeint ist die Liebe, B.L.], die den Dispens von der Arbeit meint, transzendiert die bürgerliche Idee von Liebe die Gesellschaft. Aber indem sie das Wahre unvermittelt im Allgemeinen Unwahren aufrichtet, verkehrt sie jenes in dieses.“ Die Liebe am Koitus festzumachen, dann als (noch) nicht Vergesellschaftetes darzustellen, ist bestenfalls, wegen dem Gusto an Schandelschem Sprachwitz, naiv.

Alle Schandl Zitate sind folgendem Text entnommen: http://gerda.univie.ac.at/unique/httpd/htdocs/?tid=570

P.S. Ja das ist mein erster Beitrag ich hab mich nun endlich entschlossen hier zu bloggen. In nächster Zeit werden die Einträge dann mit einer gewissen Regelmäßigkeit von Statten gehen.



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